Knickerbocker, die amerikanische Radsportliga und die Aufhebung der Rassentrennung: DIE GESCHICHTE VON KITTIE KNOX
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Knickerbocker, die amerikanische Radsportliga und die Aufhebung der Rassentrennung: DIE GESCHICHTE VON KITTIE KNOX

ON March 4, 2022 by aaroncoble

 

Als in den USA noch Rassentrennungsgesetze galten und die Menschen mit Hochrädern fuhren, entschloss sich Katherine „Kittie“ Towle Knox, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Nach dem Tod Ihres Vaters zogen die 7-jährige Kittie, ihre Mutter und ihr Bruder in ein Armenviertel im West End von Boston. Damit ihre Familie über die Runden kam, musste Kittie als Teenager als Näherin arbeiten, während ihr Bruder als Dampfschlosser tätig war.

Kittie interessierte sich bereits in jungen Jahren für das Radfahren und sparte ihren Lohn als Näherin monatelang an, bis sie sich ihr eigenes Fahrrad leisten konnte. Im späten 19. Jahrhundert wurde das Fahrradfahren dank neuer, lenkbarer Vorderräder und Antriebsketten sicherer und einfacher. Dies bedeutete eine größere Freiheit für mehr Menschen, vor allem für Frauen.

Zu dieser Zeit waren die sogenannten Century Rides, Fahrten über eine Distanze von 100 Meilen, die einzigen Radfahr-Wettbewerbe, an denen Frauen teilnehmen durften. Je mehr Kittie fuhr, desto mehr wurde ihr Talent wahrgenommen.

Knickerbocker, Aussehen und Talent

Statt sich auf ihre Erfolge bei den Century Rides und ihre Platzierungen in den Top 20 % zu konzentrieren, kommentierten Journalisten Kitties einzigartigen Stil und ihre Fahrtechnik. Irgendwann begannen sie, über Kitties attraktives Aussehen, ihre schwarze Hautfarbe und ihre Kleidung zu schreiben, besonders über ihre Pluderhosen, die dreiviertellangen sogenannten „Bloomers“.

Als die Preise für Fahrräder erschwinglicher wurden, konnte sich der durchschnittliche Bürger aus der Arbeiterklasse plötzlich sein eigenes Fahrrad kaufen. Leider hielt dies die Menschen nicht davon ab, weiterhin sexistische und rassistische Standards aufrechtzuerhalten. Für Frauen bedeutete dies, dass sie beim Fahrradfahren lange, einengende und teure Röcke tragen mussten. Es war egal, wie gefährlich das für die Frauen war. Es zählte nur die Mode.

Auf der Suche nach funktionellerer Fahrradbekleidung entschieden sich immer mehr Frauen dazu, beim Radfahren kürzere Röcke zu tragen. Aber nicht Kittie. Entgegen aller Geschlechternormen nähte sich Kittie ihre eigenen Radfahr-Knickerbocker, weil sie effiziente Kleidung wollte, die nicht in der Kette hängenblieb.

itties Knickerbocker entsprachen den weiten, unter dem Knie gebundenen Männerhosen, die umgeschlagen und über langen Strümpfen getragen wurden. Da die Hosen an den Oberschenkeln pludrig fielen, boten sie mehr Bewegungsfreiheit.

Da es Frauen nicht gestattet war, der League of American Wheelmen beizutreten und darüber an Fahrradrennen teilzunehmen, traten sie stattdessen bei Modewettbewerben an. Am 4. Juli 1895 nahm Kittie am Waltham Cycle Park-Treffen teil und belegte sofort den ersten Platz – mit ihrer selbst genähten und entworfenen Kleidung. Das Magazin The Bearings beschrieb ihr Kostüm als „Ein Anzug bestehend aus einer Hemdbluse, einem Herrenkurzmantel und bis zum Knie reichenden Bloomers mit engen Leggings vom Knie an abwärts. Das gesamte Kostüm, einschließlich des Hutes, bestand aus Glencheck-Stoffen.“

Glencheck-Stoffe oder nicht – Kittie trug Knickerbocker, weil Röcke einfach nicht zweckmäßig waren. Wären sie es gewesen, hätten Männer eher diese getragen als ihre eigenen Bloomers.

Die Radsportliga und die Rassenschranke

Im Jahr 1880 wurde die League of American Wheelmen (LAW) gegründet, um amerikanische Radsportvereine zusammenzuschließen und Radfahrern bei der Vertretung ihrer Interessen mehr Gewicht zu verschaffen. Ale Mitglieder der League mussten Beiträge zahlen und erhielten Mitgliedskarten, die es den (männlichen) Radfahrern ermöglichten, an nationalen Rennen teilzunehmen.

Nachdem Rassisten die Jim-Crow-Gesetze zur Rassentrennung eingeführt und in 1893 im gesamten Süden der USA die Lynchjustiz ihren Höchststand erreicht hatte, trat Kittie der LAW bei, um ein Zeichen zu setzen.

Der Anwalt und ehemalige Oberst der Konföderierten, William Walker Watts, startete eine Kampagne, um alle schwarzen Personen aus der LAW auszuschließen und die Aufnahme weiterer schwarzer Personen zu verhindern. Er war davon überzeugt, dass durch die Aufnahme schwarzer Mitglieder dem Verband keine Weißen mehr beitreten würden.

Watts benötigte eine Stimmenmehrheit von zwei Dritteln, um die Satzungen des Verbands ändern zu können. Er scheiterte zwei Mal. Irgendwann war die Spaltung in der Gruppe so stark, dass sich bei der zweiten Wahl einige Clubs ganz von der LAW trennten. Im Jahr 1894 erhielt Watts schlussendlich die Mehrheit, die er so dringend benötigte. Die League nahm daraufhin folgends in ihre Satzung auf: „Nur weiße Personen dürfen Mitglieder der League werden.“

Als immer mehr Radsportvereine in Mississippi sogenannte „Rassenschranken“ einführten, veranlasste dies andere Clubs dazu, Century Rides „ohne Rassentrennung“ zu veranstalten. Der Century Road Club of America veranstaltete einen Century Ride, bei dem schwarze Sportler willkommen waren. Kittie meldete sich an und fuhr die Strecke von Boston bis nach Providence trotz des Gewitters, das gerade über der Stadt tobte. Sie beendete das Rennen als einzige Frau in der zweiten Liga und war Berichten zufolge „voller Schlamm, aber in keinster Weise erschöpft.“

In Asbury Park wird es interessant

Mit 21 Jahren fuhr Kittie beim jährlichen Treffen der ausschließlich weißen Mitglieder der League zusammen mit 30 aus Boston stammenden Fahrradfahrern bei einer Parade in Asbury Park, New Jersey mit. Sie fuhr bis zum Clubhaus und führte Tricks vor, bis sie von Helfern zum Aufhören gezwungen wurde. Als Kittie das Clubhaus betrat, zeigte sie ihre League-Mitgliedskarte als Ausweis für das Rennen vor. Aufgrund der „Rassenschranke“ wurde ihre Karte jedoch nicht anerkannt.

Die Aussagen der Zeitungen variierten: Kittie verließ das Clubhaus entweder „sehr ruhig“ oder „sehr trotzig“. Aber dann „…erschien Mr. Robinson vom Press Cycling Club als guter Engel“, schrieb der Boston Herald, „und besorgte ihr den gewünschten Ausweis.“ So nahm Kittie trotz der „Rassenschranke“ am Rennen teil.

Sie nahmen Kittie zu den Tioga-Rennen mit und sahen sich die Feuerwerke an. Kittie wollte dort natürlich Fahrradrennen teilnehmen, aber sie wollte auch Freunde finden und Spaß haben.

Sie ließ sich von der Rassentrennung in Asbury Park nicht abschrecken und erschien zum Ball der League in einem pinken Oberteil, einem schwarzen Rock und einem großen Strohhut. Sie war nicht nur die einzige schwarze Frau auf einer „weißen Feier“, sondern auch die erste, die das Tanzparkett betrat. Darauf folgte ein erbitterter Streit zwischen den Mitgliedern – diejenigen, die an die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft „nur für Weiße“ glaubten, und diejenigen, in deren Augen diese Regel rassistisch und falsch war.

In einer Ausgabe des Bulletin & Good Roads der LAW aus dem Juli 1895 erklärte die LAW, dass, weil Kittie am 21. April 1893 Mitglied wurde,die Voraussetzung „weiß“ aber erst am 20. Februar 1894 zur Satzung hinzugefügt wurde, die Regeln nicht rückwirkend durchgesetzt werden könnten.

Schlussendlich, wenn auch widerwillig, akzeptierte die LAW Kittie als Mitglied. Damit war sie die erste Afroamerikanerin, die der League of American Wheelmen angehörte.

Radsport in Zeiten von Rassismus und Sexismus

Kittie Knox sorgte in der gesamten Welt des Radsports für Schlagzeilen. Ob in Artikeln der Publikationen New York Times, San Francisco Call, Boston Herald, The Referee, Cycle Trade Journal, The Morning Express, Indianapolis Freeman oder des Bulletin über ihren „anmutigen“ Fahrstil oder ihre, die Geschlechtergrenzen überschreitende Kleidung berichtet wurde, Kittie lehnte sich gegen den Status quo auf.

Sie lieferte Inspirationen für zweckmäßige Radsportbekleidung, setzte sich für die Aufhebung der Rassentrennung in Radsportvereinen ein und machte das Radfahren zu einem Spaß für alle.

Kittie war einer der Gründe, warum Fahrräder zu einem Befreiungsinstrument für Frauen wurden. Indem sie ihren eigenen Weg ging, sorgte sie für großen Unmut: sowohl bei den Sexisten, die verbissen ihre Fahrradlenker umklammerten als auch bei den schockiert reagierenden Rassisten. Aber für Kittie war klar, dass man keine Geschichte schreibt, wenn man sich anpasst – denn sie war eine Rebellin.


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Quellen (nur auf Englisch verfügbar)